< Bio-Gründer Wettbewerb 2016 erfolgreich gestartet!
30.05.2016 Von: Uwe Seidel

Bönener Unternehmen entwickelt Waffe gegen Super Erreger


 

 

 

Hansjörg Lehnherr entwickelt in seinem Unternehmen Phage Technology Center in Bönen Verfahren zur Herstellung von Phagen in hoher Konzentration. Er ist davon überzeugt, dass die Bakterienfresser auch im Fall der erkrankten Amerikanerin helfen könnten.© Pinger

 

 

Bönen - Bei einer 49-jährigen US-Amerikanerin wurde ein sogenannter Super-Erreger entdeckt. Bei der Frau wurden Bakterien nachgewiesen, die über das „MCR-1-Gen“ verfügen. Das macht sie immun gegenüber Antibiotika. Das galt bisher als stärkste Waffe gegen Multiresistente Keime und E.coli-Bakterien. Möglicherweise gibt es aber doch ein Mittel, das der Patientin in den USA und vielen anderen Menschen helfen könnte. Produziert wird es in Bönen.

Professor Dr. Hansjörg Lehnherr befasst sich seit langer Zeit mit Bakteriophagen, den „Bakterienfressern“. Diese kleinen, natürlichen Parasiten benötigen Bakterien als Wirte, um sich fortpflanzen zu können. In der Natur herrscht ein Gleichgewicht zwischen Bakterien und Phagen, beide profitieren voneinander. Wird die Konzentration an Phagen jedoch erhöht, geht es den Bakterien an den Kragen.

 

„Rein theoretisch, wenn die amerikanische Regierung die Bedingungen dafür schaffen würde, könnten wir der Frau höchstwahrscheinlich helfen“, sagt Lehnherr. Für ihn ist die Entdeckung des gefährlichen Keims eine Bestätigung, dass er an der richtigen Stelle forscht. „Das ist mehr als Wasser auf unseren Mühlen“, so der Mikrobiologe.

 

Seit 2008 arbeiten er und sein Team im Kompetenzzentrum Bio-Security in Bönen an Verfahren zur Herstellung von Bakteriophagen in hoher Konzentration, um so Krankheitserreger wirkungsvoll und natürlich zu bekämpfen. Praktisch eingesetzt werden die Ergebnisse ihrer Arbeit auch schon, allerdings bisher ausschließlich in der Tiermedizin, beziehungsweise in der Nahrungsmittelproduktion.

 

Das Prinzip ist dabei bestechend einfach: Werden die speziell zu einem Erreger passenden Phagen gefunden, müssen sie den Erkrankten in ausreichend hoher Konzentration verabreicht werden. Das gilt auch für den neu entdeckten Super-Erreger sowie für fast alle anderen Bakterien. Sind die krankmachenden Keime im Körper bekämpft, haben die Phagen keine Wirte mehr. Sie werden einfach ausgeschieden.

 

„Die Möglichkeit, Bakterien mit Antibiotika zu bekämpfen, sind nahezu ausgereizt“, schätzt Hansjörg Lehnherr die Situation ein. Kaum sei ein neues Medikament auf dem Markt, gebe es prompt erste Resistenzen dagegen.

 

Tatsächlich sieht auch Christian Engel vom Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH – in Braunschweig in der Phagen-Anwendung durchaus eine Alternative zu Antibiotika. In seinem Haus wird in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité ebenfalls in dieser Richtung geforscht. „Grundsätzlich sollte es möglich sein, auch in diesem aktuellen Fall die passende Phage zu finden.“ Die DSMZ hat eine Phagensammlung aufgebaut, die seit mehr als 25 Jahren besteht. Sie dient als Fundus für Forschung und Anwendung. „Die ’Massenproduktion’ erfolgt dann anderswo, zum Beispiel im Phage Technology Center (PTC) in Bönen“, erklärt Engel. Die Firma kann inzwischen auf zahlreiche Erfolge verweisen, allerdings vorwiegend im Hühner- oder Putenstall. Insbesondere bei Salmonellen-Infektionen sind ihre Phagen nachgewiesen wirkungsvoll. Das Unternehmen hat sich zudem auch auf den Campylobacter-Keim, einen Durchfallerreger spezialisiert.

 

In anderen Ländern werden die Phagen übrigens bereits im Kampf gegen Krankheitserreger bei Menschen eingesetzt. „In Georgien gibt es Phagen zum Beispiel ganz einfach in der Apotheke“, berichtet Hansjörg Lehnherr. Er ist davon überzeugt, dass der Amerikanerin aber auch in Deutschland geholfen werden könnte. „Ich bin mir sicher, dass wir wirksame Phagen haben.“ Der Weg in die Humanmedizin ist hierzulande jedoch ein steiniger. „Die Phagen fallen aus den Medizin-Richtlinien heraus. Sie wirken sehr individuell gegen jeweils ein Bakterium. Und die Zulassung als Arznei dauert lange und wäre sehr teuer“, weiß Christian Engel.

 

Er bekommt immer wieder Anfragen von verzweifelten Menschen, bei denen Antibiotika nicht mehr wirken. „Wir können ihnen nur sagen, dass es etwas gibt, das helfen könnte, es aber zurzeit nicht angewendet werden kann. Kein Arzt in Deutschland verabreicht es.“ Gefragt sei nunmehr die Politik, den Weg dafür freizumachen.

 

Bis dahin könnte es für die Amerikanerin, die mit einer Harnweginfektion in eine Klinik eingeliefert wurde, zu spät sein. Zudem könnten sich viele weitere Menschen mit dem MCR-1-Gen-Träger infizieren. Und selbst wenn dieser erfolgreich bekämpft wird, ist es im Grunde nur eine Frage der Zeit, bis es einen neuen Super-Erreger gibt.